Chapter One - Europa

Dörfer reihen sich an der Straße auf wie an einer Perlenkette. Es befindet sich einiger Abstand zwischen den Perlen, um jede einzelne zu würdigen. Plötzlich wird aus der Kette ein 2-3 Spuriger Strick und die Perlen gehen nahtlos ineinander über. Auch bei der Auswahl der Perlen wird nicht mehr so auf Qualität geachtet. Der Verkehr auf der Schnellstraße Richtung Istanbul wird immer heftiger. Es regnet wie aus Eimern und dazu klatscht das Wasser aus den Teichgroßen Schlaglöchern im Takt in mein Gesicht. Erschwert wird die Fahrt zusätzlich durch einen heftigen Seitenwind, der mich regelmäßig von der Straße in die daneben verlaufende Schotter-Scherbenmischung drückt. Keiner der Wagen oder LKW nimmt Rücksicht und weicht auf die anderen Spuren aus. Alle machen einen Wettbewerb daraus, wer es schafft am dichtesten an dem bekloppten Radler vorbeizufahren. Der Verkehr wird immer heftiger und die Straße schwillt auf 12 Spurrillen in jede Richtung an, die alle reichlich Wasser führen. Völlig unbewaffnet (Stadtplan) erreiche ich Istanbul, ein riesiges konfuses Getümmel aus Straßen, Unter- und Überführungen. Wo muss ich hin? Der Verkehr läuft zähflüssig und stockt immer wieder. Ein freundlicher Autofahrer hält mitten in den Chaos an und hilft mir mit dem Weg. Ich fahre entlang dieser riesen Straßen und muss immer wieder drei Spuren nach links oder rechts wechseln, je nachdem wo die Ausschilderung mich hin lotst. Keiner lässt mich mal durch, oft stehe ich minutenlang mitten im Verkehr auf der Straße um auf die nächste Spur zu wechseln. Alle fluchen und hupen. Was macht in diesem Durcheinander auch noch ein Radfahrer. Das habe ich mich auch gefragt. Auf dem Weg in die Stadt ereignen sich 2 Unfälle genau vor meinen Augen. Alles, weil jeder nur an sich denkt. Bloß jede nur kleinste Lücke schließen, weil, es könnte ja ein Anderer na halbe Sekunde schneller wieder im Stau stehen. Stress pur! Endlich erreiche ich das „Zentrum“ . Nun kommt erschwerend hinzu, dass es in der Stadt echt hügelig ist. Das ständige anfahren am Hügel kostet jede Menge Kraft. Endlich, Taksim Square! Die Fußgängerzone und damit der Befreiungsschlag. Das Hostel ist erreicht. Völlig durchnässt komme ich an, und genieße erst mal eine warme Dusche.

Die folgenden Tage in der Stadt sind einfach nur genial. Eine völlige Reizüberflutung. Die Stadt ist unvorstellbar riesig und es gibt unglaublich viel zu sehen. Vorteilhaft ist, dass sich die wesentlichen Sehenswürdigkeiten auf einen ca. 4 Km Radius um das Hostel verteilen. Bewaffnet mit meiner Kamera lasse ich mich einfach treiben. Sieht eine Straße interessant aus, gehe ich rein. Am Ende des Tages schaue ich auf die Karte und harke die Sehenswürdigkeiten ab, die auf meinem Weg lagen. Im Hostel finden sich immer wieder Leute, die mich auf meiner Stadterkundung begleiten wollen. Großartig diese Stadt zu erleben! An zwei Tagen begleitet mich ein im Hostel lebender Istanbuler. Es gibt an diesem Tag Insidersightseeing. Gut, dass es dafür noch keine Aufsichtsbehörde gibt.

Die Aufzählung aller besuchten Sehenswürdigkeiten spare ich mir an dieser Stelle. Jeder der mal in der Stadt war, kenn diese, die Anderen können sich eh nichts darunter vorstellen. Ich konzentriere mich lieber auf die Erlebnisse.

Für meinen weiteren Reiseverlauf benötige ich noch die Visa von China und Vietnam. Beide haben ein Konsulat in Istanbul. Also nichts wie hin und schon mal den ganzen Papierkram erledigen, bevor ich schon das ganze Sightseeingprogramm abgerissen habe, bevor meine zwei Besucher aus Deutschland dazu gestoßen sind. Also schnüre ich meine 7 Meilen Stiefel und mache mich auf den Weg zum Konsulat von Vietnam. Nach ca. 1,5 Stunden Fußmarsch und ca. 20x nach dem Weg fragen stehe ich vor einer kleinen Villa. Es ist eine tolle Gegend und die Häuser erinnern mich an die in meiner Erinnerung abgelegten Bilder aus Beverly Hills. Ein alter Mann kommt aus seinem Pförtnerhäuschen gekrochen und berichtet, dass die Botschaft nach Ankara umgezogen ist. Hm, da laufe ich nun aber nicht noch hin. Lieber zur Bosporusbrücke und dann wieder zurück. Die Aussicht ist herrlich und zurück am Hostel, bin ich fertig, aber begeistert von der Strecke.

Am nächsten Tag ist es so weit, die Pedalpilgereskorte zurück nach Deutschland kommt an. Gegen Mittag beginnt es wieder mal heftig zu regnen. Das Wasser läuft in Bächen zentimetertief die Straßen hinunter. Trifft sich super, da meine Klamotten grad trocken geworden sind. Es hilft nichts, ich muss mit meinem ganzen Kram raus in die Sintflut und zum nächsten Hostel radeln. Das sind ungefähr 5 Kilometer. Ich schaffe es bis zur nächsten Straßenecke, wo ich von einem Polizeiwagen angefahren werde. Kein Problem, mit der Knautschzone aus Packtaschen, von der jedes Auto nur so träumen kann. Nach einer kurzen Diskussion und der Überprüfung der vollen Funktionstüchtigkeit meines Equipments, geht es weiter. Jeder macht sich über mich lustig. Kein Wunder, wer fährt auch bei so einem Wetter in Badelatschen durch die Stadt?! Auf der Brücke über das goldene Horn muss ich mich wieder mal von rechts außen nach links durchkämpfen. Grund genug für diese äußerst rücksichtslosen Geschöpfe in ihren Blechbombern mal wieder richtig aufzudrehen, hupen und gas! Yes wieder hat einer die volle Punktzahl erwischt und ich habe Unfall Nummer zwei. Nix passiert, wie ein Stehaufmännchen mache ich weiter, da müssen sie schon noch mehr daran setzen um mich aufzuhalten. Der Verkehr staut sich wegen einer riesigen Pfütze, die etwa knietief ist. Keiner will durchfahren und es riecht angenehm nach allerlei, was man eigentlich lieber der Phantasie überlässt. Was bleibt mir anderes übrig, also durch. Direkt dahinter sieht mich ein aufmerksamer Autofahrer, wie ich rechts am Gehweg an den Autos vorbeirolle. Das geht ja nicht, dass der Radfahrer schneller ist, als die Blechdosenarmee. Also wird mal schön nach rechts ausgeschert. Die Gedankengänge dieser Intelligenzbestie waren etwas langsam und ich daher schon direkt neben dem Auto. Treffer Nummer drei. Aber alle guten Dinge sind vier, daher musste sich die gleiche Geschichte nochmal auf der Mittelspur abspielen. Ich bin begeistert von der Bilanz, viermal vom Auto angefahren auf 5 Kilometer. Das muss mir erst mal einer nachmachen.

In den folgenden Tagen genießen wir zu dritt die Stadt. Es kommt mir vor, als wenn wir als anerkannte Restauranttester unterwegs sind, so oft wie wir beim Essen sitzen, aber wir sehen auch viel. Wir frönen nur einer äußerst entspannte Weise die Stadt zu erkunden.

Drei Geschichten sind dabei noch besonders unterhaltsam. Ein besonders aufdringliches Exemplar von Schuhputze wollte mich einfach nicht in Ruhe lassen. Daher dachte ich mir, dass ich mir die Ruhe mit einer kleinen Spende für seinen „kranken“ Sohn erkaufe. 2 Euro für Ruhe, das klingt nach einem fairen Preis. Schneller als ich gucken kann, geht die nervtötende Wurst vor mir auf die Knie und schmiert schon Schuhcreme auf meine Schuhe. Ich wehre mich vehement, aber er versichert mir nur, dass er das Geld nicht ohne Gegenleistung annehmen kann. Ein Schuhputzer mit Moral? Das ist ja was ganz neues. Selbst nach hundertmaliger Feststellung meinerseits, dass es fürs Schuhe putzen keine weitere Kohle gibt, will er weiter machen. Gut, irgendwie muss die schwarze Pampe ja wieder von den Schuhen runter. Also mach! Wie ich es mir gedacht habe, als er fertig ist, will der Typ 35 Lira für seine Arbeit. Eine Frechheit, 15 € für eine Leistung, die ich garnicht wollte. Ich wehre mich aber er feiert da eine richtige Parade ab. Ich weise ihn immer wieder darauf hin, dass ich ja schon bezahlt habe und ihn gewarnt hab. Dieser völlig verblödete Heini gibt mir daraufhin die 2 € zurück. Unter meiner Androhung die Polizei einzuschalten, einigen wir uns auf 5 Lira fürs Schuhe putzen. Umgerechnet sind das ca. 2,20 €. Das ist ein fairer Preis und kommt meiner eh schon Abgeschriebenen Friedensspende relativ nahe.

Mit den frischgeputzten Latschen geht es dann weiter durch die Stadt. Vor einem Laden haut es mich fast aus den selbigen. Mit meinem voluminösen Hinterteil haue ich ein Regal mit allerlei Knabbereien um. Beim Versuch, wenigstens war er erfolgreich, das Regal vor dem sichergeglaubten Aufprall auf die Straße zu retten, fliege ich fast hinterher. Die Lacher meiner Begleiter waren auf meiner Seite.

Der mit Abstand lustigsten Geschichte durften wir aber auf dem Galatatower beiwohnen. Eine Möwe, davon gibt es in der Stadt ja kaum welche, sitzt da oben rum. Jeder muss das Tierchen fotografieren. Ein Kind muss sich das Tier mal aus nächster Nähe betrachten. Das gefällt der Möwe so gut, dass sie dem Kind in die Nase beißt. Danach wurde der Tower zum Minarett umfunktioniert, so hat das Kind gebrüllt. Endlich mal neue Töne über der Stadt.

Zusammenfassend: es ist eine tolle Stadt, leckeres Essen, überwältigende Eindrücke und tolle Begleiter. Danke Euch Beiden! Ein würdiger Abschluss zu einer unbeschreiblichen Tour. Und das war erst das erste Kapitel… .

Bis bald, dann aus Hong Kong.


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