
Kommen wir zunächst zu den Meldungen, die uns nach Redaktionsschluss der letzten Publikation erreicht haben. Aufgrund anhaltendem Säbelrasseln zwischen Russland und Georgien kommt es in der Hauptstadt vor dem Parlament, von dem sich unsere Unterkunft nur einen Block entfernt befand, allabendlich zu gut besuchten Demonstrationen, bei denen die Teilnehmer ihre gewählten Choreografen dazu auffordern sich gegen die verbalen Attacken des übermächtigen Nachbarn zu wehren. Es war schon interessant, welches Durchhaltevermögen die Besucher bis spät in die Nacht bewiesen haben.
Ich selbst bin ein großer Freund davon in den Medien auch positive Entwicklungen aufzuzeigen und nicht ausschließlich Weltuntergangsszenarien zu publizieren. Das Thema Müll treibt mich seit einer geraumen Weile um, hier gibt es aus Georgien durchaus Positives zu berichten. Das Konzept ist denkbar einfach: Man stelle im ganzen Land bis in die entlegensten Ecken Sammelbehältnisse auf und leere diese regelmäßig. Die Akzeptanz bei der Bevölkerung scheint vorhanden zu sein und das Konzept aufzugehen. Das Resultat kann sich durchaus sehen lassen. Möglicherweise können sich andere Länder ja mal ein Beispiel daran nehmen, denn ein niedriger bis kaum vorhandener Staatsetat kann, wie am Beispiel Georgien verdeutlicht, kein triftiger Grund für eine nicht vorhandene Unratentsorgung sein.
Spulen wir mal noch ein paar Umdrehungen der unseren roten Reisefaden tragenden Spindel ab. Zunächst stand ein Besuch des Welterbe Anwärters David Gareja an. Schnell nachdem die Sammelbeförderung Tiflis verlassen hat, ging es durch eine karge Hügellandschaft wo das unserem Heimatplaneten Wärme spendende Zentralgestirn ganze Arbeit geleistet hat. Alles ist verdorrt und nur in ausgewählten Ecken, in denen aus unerfindlichen Gründen Wasser zu finden ist, sprießt frisches Grün. So ganz stimmt das nicht, denn als wir um eine Kurve biegen und in das nächste Tal blicken, erspähen wir einen frisch gepflanzten Wald, zwecks Einfuhr beziehungsweise im Endeffekt Ausfuhr von Agrarerzeugnissen. Wo soll bitte das Wasser herkommen, das die zuvor schon anwesenden Grashalme im Stich gelassen hat, um diesen schätzungsweise doch etwas durstigeren Wald zu befriedigen? Aber gut, Kalifornien fällt ja auch Mandel- und Orangenbäume, weil deren Unterhalt in der Steppe so trivial ist.
Der eigentliche Besuch des Klosters David Gareja war sehr schön, obwohl die Wanderung um das Kloster herum, zu den Wasserspeichern und auf die umliegenden Höhen mit Aussichten weit bis nach Azerbaijan noch beeindruckender war. Hier hat der Glaube buchstäblich Berge versetzt um Behausungen und Wasserspeicher in natürlich klimatisierten Umgebungen zu schaffen, ähnlich wie es uns Peter Jackson bei den in liebevoll eingerichteten Höhlen lebenden Hobbits veranschaulicht hat. Das war ein gelungener Abschluss unserer Erkundung des Landes.
Von Tiflis aus fällt das Terrain langsam in Richtung des Kaspischen Meeres ab, an dessen Ufern sich Baku befindet. Bereits vor einigen hundert Jahren wurde in Azerbaijan der schwarze brennbare Teufel unter der Erde entgadeckt und mit dessen Zutageförderung wuchsen nicht nur die Berge an Geldvermögen, sondern auch die prunkvoll verzierten Bauten, die sich an die schöne Uferpromenade anschließen. Besonders beeindruckend ist das Wahrzeichen der Stadt, ein Gebäudekomplex, der vom Boden wie drei große Flammen empor steigt und nach Einbruch der Dunkelheit entsprechend rot illuminiert wird. Die Altstadt versprüht orientalisches Flair und die übrig gebliebenen Karawansereien verschaffen einem einen Eindruck davon, welche Bedeutung die Stadt bereits vor der Entdeckung der neuen Welt und dem zunehmenden Nutzen der reichlich vorhandenen Bodenschätze hatte. Auch diese Stadt ist definitiv einen Besuch wert.
Die historische Seidenstrasse war, anders als der Name vermuten lässt, nicht unbedingt ein Trampelpfad auf dem sich die Warentransporttiere in unterschiedlichen Richtungen aneinander vorbei zwängten, sondern eher ein Geflecht von Wegen, das die damals bekannte Welt durchzog, wie Adern auf unserem Handrücken. An den jeweiligen Knotenpunkten wurden Kamele versorgt und Vorräte aufgestockt und im Gegenzug die Handfläche aufgehalten, um die uns heute noch zugänglichen Reichtümer anzusammeln und in Form von farbenfrohen, Macht symbolisierenden Bauwerken zu manifestieren.
Da auch unsere Reise mindestens ansatzweise von diesen historischen Handelswegen geprägt sein soll, beginnt spätestens hier unser Weg entlang der Seidenstraße. Aus Mangel an Zeit nehmen wir von Baku aus die Fähre nach Turkmenistan. Allein die Visumsbeschaffung war eine Herausforderung, die nur noch vom Ticketkauf für die Fähre übertroffen wurde. Unser Anruf wurde aufgrund mangelnder russischer Vokabeln in meinem Wortschatz einfach beendet. Bei mehreren Anrufen von entsprechend befähigten Leuten wird die mir bestens bekannte Salami Taktik des immer wieder auf in x Stunden Vertröstens gefahren. Zweimal sind wir selbst bei dem gut getarnten Blechkontainer vorbei gefahren um dann von einem ebenfalls interessierten „Übersetzer“ zu erfahren, dass es am nächsten Morgen die heiß begehrten Tickets gäbe.
Einerseits Motor andererseits Manko, der Egoismus der Menschen in vielen der bereits besuchten Orte. Wenn auf dem Markusplatz ein Mensch Brotkrumen auf den Boden wirft, stürzen sich direkt nicht mit Nummern zu beziffernde Mengen an Tauben darauf und hacken aufeinander ein, schlagen mit den Flügeln und versuchen mit derart großen Stücken das Weite zu suchen, dass ihnen daran fast die Luft weg bleibt. Ähnliche Szenen spielen sich hier ab, wenn der Ticketschalter geöffnet, Gepäck im Bus verstaut wird oder es um die Verteilung der für alle ausreichend vorhandenen Sitzplätze in Selbigem geht. Selbst wenn etwas 100.000 x identisch verläuft, passiert doch immer mal wieder etwas unvorhergesehenes. Dieses Mal waren wir das, die versucht haben die wenigen Gepäckverstaumöglichkeiten mit ihren Fahrrädern zu belegen. Schlussendlich endete dieser Versuch in der Aufforderung die Fahrräder mit im Bus zwischen die Sitze zu stellen, was einige Sitzgelegenheiten, die vorher in einem vergleichslosen Hühnerkampf ergattert worden waren, nun drastisch abgewertet hat. Die vielen Gläubigen hier sollten doch die Worte meines Großvaters kennen, die kleinen Sünden werden direkt bestraft.
In meiner Jugend habe ich meine Geduld mit allerlei dafür konzipierten Holzspielzeugen oder in kleine Teile geschnittenen Bilder trainiert. Entweder ist das wie bei Muskeln und die trainierten Nerven geben den vorherigen Lernerfolg bereitwillig wieder her, oder das Training war nicht ausreichend. Wie viel wir in den letzten Tagen gewartet haben, lässt sich kaum in Stunden fassen. Alles begann mit der Fähre, die viel später ablegte als geplant, nach 18 Stunden Fahrzeit nahezu den Pier erreicht hatte, um dann auf der Ferse kehrt zu machen um weitere 18 Stunden zu warten bis sich das laue Lüftchen, was man uns als Sturm verkaufen wollte, gelegt hat. Dann an Land hieß es wieder warten bis uns jemand versucht hat zu vermitteln, dass wir falsch gewartet haben um mit Militäreskorte zum richtigen Warten gebracht zu werden. Es muss einfach überall gewartet werden, jedoch wenn es dann anfängt, muss es meistens alles ganz schnell gehen. Kennt ihr das noch, wenn man früher eine Kassette zurück gespült hat und es dabei diese quietschenden Geräusche gegeben hat, bis man die Taste wieder losgelassen hat um dann in deutlich reduzierter Geschwindigkeit erneut seinem Lieblingssong zu lauschen? Das quietschen gleicht den Reifen der Autos, die in einem Affenzahn über den glühenden Asphalt rasen und der Song scheint dann der hier normale entschleunigte Beat des Wartens zu sein.
Es ist unfassbar viel in den wenigen Tagen in Turkmenistan passiert. Ich versuche mich mal kurz zu fassen um nicht eure Geduld beim Lesen ebenso zu strapazieren, wie unsere durch Warten gebeutelten Nerven hier. Angekommen in Turkmenistan haben wir uns um reichlich Dollar für ganze 4,5 Tage Visum erleichtern lassen, wurden zum illegalen Geld wechseln gebracht, da der Kurs um ca. 400% besser ist als der in der Bank und das ist keine Übertreibung. Eine Schlägerei einer Person, die uns beim Taxi suchen helfen wollte später sitzen wir in einem solchen Gefährt, in dem unsere Zweiräder ebenfalls Platz gefunden haben. Der Fahrer, ein liebenswerter kleiner Opa, der mich stark an Louis Defuines erinnert, hat uns auf den ersten Blick adoptiert und schenkt uns Bonbons und kauft uns etwas zu essen. Zum Essen gab es gegorene Stutenmilch, die auch noch Kohlensäure hatte. Gepaart mit seiner Fahrweise bin ich absolut erstaunt, wie unsere Körper das in sich behalten haben.
Mitten in der Nacht erreichen wir die Hauptstadt Ashgabat, die mich in gewisser Weise an eine Mischung aus Disney Land mit einem Ort den George Orwell in 1984 viel treffender beschrieben hat als ich das könnte. Die Straßen sind wie leer gefegt, an allen Ecken steht Militär und Polizei, Kameras wachen über jede Ecke, fotografieren ist genau so verboten wie stehen bleiben. Die Szenerie wird von endlosen Parks mit Statuen des ehemaligen Präsidenten und seinen engsten Gefolgsleuten und zahllosen weißen Prachtbauten gesäumt. Es gibt ein Gesetz, das nur weiße Autos in der Stadt erlaubt, die auch nur aus der Stadt selbst sein dürfen. Alles wirkt etwas bizarr zumal wir uns fragen, für wen das gebaut wurde, wenn kaum ein lebendiges Wesen auszumachen ist. Möglicherweise verstecken sich diese jedoch auch innerhalb dieser maximal sonnenreflektierenden Bauten vor den außerhalb herrschenden 44 Grad.
Betrachten wir, zugegebenermaßen etwas Klischee behaftet, diese weiße Welt als den Himmel, ging es anschließend in einer rasanten Taxifahrt auf dem direkten Weg in die Hölle. Mitten in der Wüste hatten emsige Menschen auf der Suche nach Öl, kein flüssiges, sondern flüchtiges Gold gefunden und es aus Angst es sei giftig angezündet. Jetzt brennt dieses ewige Höllenfeuer schon seit fast 70 Jahren und scheint keinen Zweifel aufkommen lassen zu wollen, dass dessen Potenz für mindestens nochmal die gleiche Zeit reicht. Das war schon ein imposantes Feuerchen und kaum beschreiblich wie warm es in der direkten Umgebung war. In sicherer Entfernung haben wir unsere mobile Behausung aufgeschlagen, wohin uns dann Einheimische noch ein Süppchen und Tisch mit Stühlen gebracht haben. Auch das war wieder super herzlich.
Am Ende dieser kurzen Visite stehen wir mit unserem gesamten Hausstand am Bahnhof um den Rückzug in Richtung Grenze vorzubereiten. Leider sind alle Züge des Tages ausgebucht. Eine unfassbar hilfsbereite Einheimische regelt mit ihrem Kollegen alles, damit wir dann die Kabine des Schaffners bekommen, um uns von dem Zeitraffer Erlebnis Turkmenistan zu erholen. Es war ein schöner Kurzeinblick in dieses Land, was es sonst sehr gut versteht unter dem Radar der übrigen Welt zu bleiben. Es gäbe Potential für weit mehr, aber dafür müsste diese Schönheit mal aus ihrem Morgenmantel geschlüpft kommen.
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Gabi und Rudi (Donnerstag, 18 Juli 2019 10:59)
Dieses "Wartistan" kennen wir Daheimgebliebenen auch, die Gedanken kreisen und werden zu Geschichten, die ein reges Eigenleben führen, weil die Faktenfütterung fehlt...... Umso schöner und auch umso unglaublich erleichternd, wenn die ersehnten Nachrichten und Berichte aus der Ferne wieder "fließen". Und dieser Bericht macht auf jeden Fall neugierig auf die nächsten Abenteuer. Es ist immer wieder tröstlich zu hören, dass es in den entlegensten Ecken dieser Erde Menschen gibt, die durch Taten des Alltags Herz zeigen, eine Behausung, ein Tisch, ein Essen herbeizaubern und Anteil am Anderen nehmen... , das macht dankbar.
Schön ist auch zu hören, dass in der Kindheit unter Reizermangelung so wichtige Tugenden erlernt werden konnten wie Geduld und Ausdauer :-) ,um auch hier den Opa zu zitieren, "man weiß nie, wofür es gut ist".....
Alles Alles Gute für euren weiteren Weg!!!
Wolf (Sonntag, 21 Juli 2019 11:31)
Hi Meike und Dennis, was für eine Menge Text. Hab das erst mal wieder zugeklappt um mich am Samstag Abend mit einem Glas Rotwein (auf Euer Wohl) im Sessel zurückgelehnt dem Lesen zu widmen. Un da rege ich mich auf, wenn die Taunusbahn im Berufsverkehr verzögert ankommt, mit 1/2 Zug versucht, alle Reisewilligen einzupferchen und die Klimaanlage den Geist aufgegeben hat. Kleine Frage am Rand: Müssen einheimische Reisenden auch so lange warten? Auf jeden Fall ein beeindruckender Bericht, garniert mit gut gesehenen Fotos wie die Spiegelung in der Sonnenbrille oder der Uhrensammlung
Besten Gruß
Christiane und Wolf