Kirgistans Schokoladenseite

A long long time ago, I can still remember... Erinnert ihr euch auch noch an einen besonderen (Kinder-)Geburtstag? Vielleicht einen eigenen, oder einen eurer Lieben? Der Tisch ist gedeckt und in der Mitte steht eine gefühlt riesige Schokoladentorte mit allerlei Verzierungen aus Sahne und Kirschen. Das eine oder andere Stück ist bereits herausgeschnitten und wild stochernde Gabeln wetteifern um heruntergerutschte Kirschen, Krümel und Dinge worauf noch Besitzansprüche angemeldet werden können. Beim Einfetten der Backform muss es zu einigen Ungenauigkeiten gekommen sein, denn der Tortenboden lässt sich nicht restlos von der ihm formgebenden Metallvorrichtung lösen. Bei dem Gerangel um den Tisch herum wird das eine oder andere Glas Wasser über den Tisch vergossen bis die Rinnsale sich in kleinen Fällen gen Fußboden ergießen. Auf dem Tisch liegen überall noch halb aufgebaute Autos aus den beleibten Schokoladeneiern mit modulierbarem Plastikkern. Aber was genau hat das nun mit unserer Reise zu tun?

Wir durchradeln eine schier endlose Ebene, die zur intensiven Bewirtschaftung durch Landwirte genutzt wird und treffen immer mal wieder auf kleinere Hügel, die in der Landschaft verstreut liegen, wie die Kuchenkrümmel nach der ersten Plünderung des Buffets. Immer weiter arbeiten wir uns vor und erreichen ein erst sehr breites, sich jedoch rasch verjüngendes Tal, durch das sich eine Straße mehr oder weniger am Fluss entlang zieht. Beim Herausschneiden des Tals hat der Fluss so sparsam und teilweise unsauber gearbeitet, dass wir pausenlos steile Hügel mit 12 % Steigung erklimmen müssen und direkt wieder auf das Ausgangsniveau abfahren. Das Ganze ist unglaublich kräftezehrend. Die Szenerie und die traumhaften Campingplätze, das Baden in Flüssen oder im See verwischen die zunächst harten Erinnerungen jedoch schnell zu sanfteren Pastelltönen.

Insgesamt stehen 15 kleinere oder größere Pässe auf unserer Agenda, welche wir überraschend reibungslos meistern und uns immer weiter in Richtung des Schokoladenkerns gen Tischmitte vorarbeiten. Dann kommen die zwei Königsetappen. 66 Kilometer Anfahrt gilt es an einem Tag zu meistern und dabei 2200 Höhenmeter um die 3200 Meter hohe Wasserscheide zu überwinden. Langsam schieben wir uns vorwärts und folgen einer fast nicht abreißenden Ölspur, die sich wie eine Kette den Berg hoch zieht. Immer wieder sind auf die Kette große Ölperlen aufgezogen, die teilweise noch von den LKW bedeckt werden, die sie dort verloren haben. Man kann sich nicht vorstellen, wie oft ein stark qualmender mobiler Ölofen am Straßenrand steht und die sie führenden Personen staunend daneben stehen, dass ihr Fahrstil diesen Relikten aus der Zeit von Hubert Kah und Nena, wohl doch nicht so ganz bekommt. Deutsche Wertarbeit ist halt wohl doch nicht, was man von ihr erwartet ... Faszinierend ist auch, wie viele in den Öllachen unter ihren LKW liegen und versuchen ihr Gefährt dazu zu motivieren die weiteren Anstrengungen in Richtung der Hauptstadt doch noch auf sich zu nehmen. Oft liegen viele Teile und Werkzeug auf der Straße und wir sind verwundert, woher die Leute wohl wissen, wie man das wieder zusammensetzt. Ganz so intuitiv wie die Inhalte der gelben Kerne der Schokoladeneier auf dem Geburtstagstisch geht das wohl nicht und mangels Handyempfang wird das Ansehen eines entsprechenden Erklärvideos sicher auch schwierig.

Oben angekommen ist das Gefühl diese körperliche Leistung bei dem mitgeführten Gepäck gemeistert zu haben schier überwältigend und der Eindruck herrscht vor, dass es sogar einfacher war, als die zuvor beschriebenen ständigen Auf und Ab zu bewältigen. Nach einem gebührenden Genuss des selbst gespendeten hormonellen Applaus, setzen wir unsere Fahrt in rasantem Tempo fort. Zum nächsten und letzten Pass der Tour de Kirgistan sind es erneut 66 Kilometer. 50 davon gehen im Autopilotmodus gleichmäßig abwärts. Dann zweigt die Straße nach links ab und offenbart uns die Herausforderungen für die nächsten Stunden. In einer Vielzahl von Serpentinen schlängeln wir uns erneut durch die Gesteinsschichten in Richtung Gipfel empor. Am Ende einer tollen Anfahrt stehen wir auf 3200 Metern vor einem Tunnel, der dieses Mal nicht mit dem Fahrrad zu durchqueren ist. Wir haben kaum Zeit für eine persönliche Siegesfeier und Finisherfoto, da hat uns schon ein hilfsbereiter Tunnelwart eine Mitfahrgelegenheit in einem hoffentlich noch fahrtüchtigen LKW organisiert, der uns durch das stickige Loch im Berg befördert. Drinnen hängen dicke Abgasschwaden in der Luft und wir sind froh, diese nur kurz durch das weit geöffnete Fenster inhalieren zu müssen. Dann sitzen wir wieder im Sattel und rollen durch eine schroffe In roten und braunen Farben gehaltene Felslandschaft. Oft ziehen sich riesige Stellen an denen Steine und Schotter von weit oben abgerutscht sind bis an die Straße heran. Dazu bläst uns ein Wind entgegen, der die ersehnte Abfahrt zu einem Akt höchster Konzentration und Anstrengung verkommen lässt. An manchen Stellen mussten wir tatsächlich kräftig in die Pedale treten, da die Verwandlung von Lage- in Bewegungsenergie nicht mehr ausreichte, um uns fortzubewegen. Dann endet die Berglandschaft recht unvermittelt und wir haben die Tischebene wieder erreicht. Einige Bäche und Rinnsale haben uns aus den Höhen begleitet, sich vereinigt und färben die umliegenden Felder der Bauern auch auf dieser Seite saftig grün. Die in Gedanken einfache und flache Zielankunft in Bishkek wurde uns noch durch eine 20 Kilometer lange Baustelle verwürzt. Auf engstem Raum quetschen sich die Fahrzeuge aneinander vorbei. Der Boden könnte kaum schlimmer sein, wenn man mit dem Rad durch ein Flussbett fahren würde und es wird pausenlos gehupt. Das war eine echte Geduldsprobe, von der die wenig vorhandenen Arbeiter auf jeden Fall eine Menge mehr zu haben scheinen, als die drängelnden und Lärm produzierenden Pendants in ihren fahrbaren Untersätzen. Wenn überhaupt Baumaschinen da sind, gearbeitet hat in der gesamten Baustelle eigentlich keiner. Ein paar Leute liefen ziellos mit einer Schaufel in der Hand durch die Gegend, die auch dazu gedacht sein könnte die völlig grundlos kläffenden Köter auf gesunder Distanz zu halten.

Nachdem nun unserer Reise über den Tisch abgeschlossen ist, noch ein paar Eindrücke, die sich uns bei Tisch ergeben haben. Dass sprachliche Barrieren hinderlich, jedoch nicht unüberwindbar sind, ist jedem von uns sicher geläufig. Was mir jedoch neu ist, dass Menschen scheinbar außer Stande sind, den täglich mitgeführten Denkapparat auch mal für den bestimmten Zweck zu nutzen. Stellen wir uns ein Restaurant vor, das unter anderem Pizza herstellt. Nun kommt ein Gast und äußert den völlig abwegigen Wunsch ein Gericht zu verzehren, was kein Fleisch enthält. „Ja dann nimm doch die Pizza mit Salami, oder Bolognese“. Unsere aufklärenden Worte, dass auch das Fleisch ist, sorgen für fast noch mehr Verwunderung, als der Wunsch dann einfach von der Pizza das Fleisch runter zu nehmen und durch Paprika oder ein anderes Gemüse zu substituieren. Die Antwort, dass das nicht geht, habe dann ich erstmal nicht verstanden, da mir die Salatkarte die grundsätzliche Verfügbarkeit der Zutat signalisiert hat. Die Wartezeit auf die Speisen deutete auch nicht unbedingt darauf hin, dass alles fertig im Kühlschrank auf unseren Gaumen gewartet hat. Es steht halt so im Rezept, dass man die Pizza so macht und davon weichen sie nicht ab. Auch bei einem türkischen Grill Restaurant ist man nicht in der Lage eine Tomate und eine Paprika auf einen Spieß zu packen und es dann einer Garung auf den glühenden Kohlen zuzuführen, statt dessen bekommen wir Pommes mit Spiegelei. Es ist im Nachhinein schon unterhaltsam wenn man über das Erlebnis "essen gehen" nachdenkt. Auch wenn wir dann ein teureres Restaurant besuchen und der Hoffnung nachhängen, dass man dort etwas flexibler ist, wird uns schon bei der Bestellung von Salat am frühen Abend gesagt, dass kein Brot mehr vorhanden ist, obwohl dies in endlosen Mengen direkt vor der Tür zum Verkauf angeboten wird. Bei diesen Denkleistungen weiß ich jetzt auch, warum auf Bechern für Heißgetränke Warnmeldungen angedruckt werden, die auf einen möglicherweise heißen Inhalt hinweisen.

Bis bald dann wieder mit neuen Abenteuern aus der Volksrepublik.

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Kommentare: 5
  • #1

    Ilka (Donnerstag, 15 August 2019 18:20)

    Hallo Ihr Beiden,
    es so schön Eure Berichte zu lesen. Die Pizza-Geschichte erinnert mich an ein Erlebnis in China, als ich in einem Restaurant nach einer Bank fragte. Egal wie ich mich drehte und wendete, ich bekam immer den Weg zur Toilette gezeigt. Essen und Toilette war sozusagen fest verdrahtet, weiteres gab es nicht im Angebot. Eine gute Reise weiterhin, liebe Grüße Ilka

  • #2

    Wolf (Freitag, 16 August 2019 17:24)

    Hallo Meike, hallo Dennis, sehr schön auf diese Weise über die Zeit den Kontakt zu halten. Leider muss ich meinen FREITAGSROTWEIN alleine trinken - auf jeden Fall auf Euer Wohl. Passt gut auch Euch auf und lieben Gruß von Christiane und Wolf

  • #3

    Wolf (Freitag, 16 August 2019 17:25)

    ich vergaß... Bilder wieder Top - insbesondere das Denkmal in der Spiegelung und die hängenden bunten Tücher - das will als Motiv gesehen werden.
    Gruß Wolf

  • #4

    Steffen, Ines & Little Mo (Dienstag, 20 August 2019 13:06)

    Hallo Ihr beiden,

    Euer Bericht ließt sich wieder sehr spannend. Ich nehme an nach der Reise kommt das Rad erst mal 6 Monate in die Ecke ;-)

    Passt gut auf Euch auf!

    Viele Grüße,
    Steffen

  • #5

    Juli (Samstag, 07 September 2019 16:48)

    Es macht sehr viel Spaß euch zu folgen ;-)