Slowly Slowly

Es ist bereits einige Zeit vergangen seit sich Feldherren in Asien gegenseitig die Helme verbeult haben und die Lust gegen den Widerstand anzulaufen auf einer der beiden Seiten erloschen ist. Anschließend kamen kluge Planer mit Landkarten aus der Deckung und zogen recht willkürlich entlang der nun gefundenen Waffenstillstandslinie einen für den Menschen typischen Zaun, um ihn nicht Grenze zu nennen. Mit der Zeit verheilen die Wunden unter den Helmen und es wächst Gras über den Zaun. Was jedoch faszinierend ist, ist wie unterschiedlich sich die Dinge auf beiden Seiten der vormals fließenden Grenze entwickeln. Auf einmal sprechen die Menschen andere Sprachen und pflegen einen anderen Kleidungs- und Baustil. 

Viele Jahre später wird das Land Nepal im Jahr 2014 durch eine Reihe von Erdbeben neu geprägt. Ähnlich wie sich die Bergsteiger auf dem Everest einen neuen Weg zum Gipfel suchen mussten, sich Flüsse durch abgerutschte Hänge graben müssen, so müssen die Grenzgänger in das große Nachbarland nun auch einen neuen Weg suchen. Milliarden von chinesischen Baumeistern haben alles daran gesetzt in kürzester Zeit den neuen Grenzübergang perfekt anzubinden. Frappierender könnte der Kontrast kaum sein. Kaum haben wir die nepalesische Seite erreicht, stehen wir vor einer Ansammlung von Blechhütten und einer Straße auf der wir unsere Fahrräder durch derart tiefen Matsch schieben müssen, dass selbst schon die Kette komplett darin hängt. Es fühlt sich an, als wenn wir die Räder durch den frisch gerodeten Regenwald im Amazonas schieben. Fahren war zu den wenigsten Zeiten möglich. Die Landschaft und das lang ersehnte Fehlen von Kameras und Polizeikontrollen entschädigt jedoch für die körperlichen Mehraufwände. Immer wieder geht es steil die Berge hinauf, durch sich auf die Straße ergießende Wasserfälle und vorbei an sich durch dieses unwegsame Gelände, dann eben doch einen Weg bahnenden LKW. Es ist unbegreiflich, dass auf diesen Pfaden überhaupt jemand fahren kann. Man bedenke, dass diese Trasse die Hauptroute des gesamten Handels mit China ist. So voll wie es klingt war es jedoch glücklicherweise nicht. Nach zwei super schönen, aber auch alle vorherigen Anstrengungen übertreffenden Tagen verlassen wir den Langtang Nationalpark, in den andere Touristen zum Wandern kommen, und sind stolz diese Herausforderung mit dem Rad gemeistert zu haben. Einer ganzen Reihe von Warnungen, dass der Weg nahezu die ganze Strecke bis in die Hauptstadt so weiter verläuft, folgend entscheiden wiederum wir uns zur Kapitulation und dem geordneten Rückzug per Bus. Wer schon einmal diese Dokumentationen im Fernsehen über die gefährlichsten Straßen der Welt gesehen hat, sollte eine gewisse Vorstellung davon haben, welche Aussichten wir aus dem sich immer wieder gen Abgrund neigenden Fenster zu genießen versucht haben. 

Der blaue Punkt, der unserem aktuellen Standort über die Karte in unserem mobilen Endgerät folgt, bewegt sich gefühlt kaum schneller gen ersehntem Ziel als vorher und immer wieder halten wir selbst nach wenigen Metern wieder, da sonst einer der Insassen von der maximalen Nähe seines Ausstiegs und seines anvisierten Zielortes abweichen würde. Einmal halten wir und müssen alle aussteigen um einen lokalen Restaurantbetreiber um seine Mahlzeiten zu erleichtern. Überraschenderweise verlässt der Bus samt unseres gesamten Gepäcks den Ort des Geschehens um einige Zeit später zurückzukehren. Es wäre uns kaum aufgefallen, dass sich die beiden verbeulten Kisten nicht komplett ähneln und wir in einem anderen Bus sitzen, man jedoch unser Gepäck umgeladen hatte. Auch das ist nicht ganz so, denn unsere mitgeführte Behausung wurde vergessen. Weitere Details zu diesem unfreiwilligen Abschied führe ich in wenigen Zeilen aus.

Zunächst möchte ich mich einem freiwilligen Abschied widmen. Seit Wochen treibt uns die Frage um, ob wir unsere Zweiräder bereits in die Heimat vorschicken sollen, um uns die weitere Reise etwas zu vereinfachen. Nun stehen wir vor einer massiven und vor allem massigen Holzkiste, die auch als queensize Sarg durchgehen würde und sehen zu, wie alles liebevoll in Folie und Papier gewickelt wird. Auch eine ordentliche Menge anderer Dinge, die uns nicht weiter begleiten soll, finden darin Platz und am Ende begleite ich auf einem Kleintransporter mein erstes 85 Kilo Paket zum Zoll am Flughafen. Die Inspektion ist mehr vom Interesse unserer Abenteuer geprägt, als wirklich vom Inhalt des Paketes, der einmal kurz durchgewühlt und vom Drogenhund beschnüffelt wurde. 

Die Zelt-Wiederbeschaffung gestaltet sich da doch etwas komplizierter. In einer kaum zu übertreffenden Salamitaktik werden wir immer wieder vertröstet. Wir sollen morgen, später, am besten nie wieder anrufen. Dann soll es plötzlich morgen da sein. Für eine Fundsache von diesem, vor allem auch ideellen Wert beschließen wir noch einen Tag in dieser völlig chaotischen Hauptstadt zuzubringen. Am nächsten Tag stehen wir vor dem Schalter, der die Tickets für den Bus unter die Leute bringen soll, wo die Wiedervereinigung stattfinden sollte. Die Feierlichkeiten mussten jedoch ersatzlos ausfallen, weil der Ehrengast fehlte. Mit einem Grummeln im Magen, was nicht auf das ebenfalls fehlende Buffet zurückzuführen war, haben wir den Rückzug angetreten. 

Bevor es wieder zu unseren Abenteuern geht hier noch ein paar Anekdoten aus der Hauptstadt: wir fragen uns, warum eigentlich seit Jahren immer wieder und damit meine ich mehrmals täglich der Strom ausfällt. Das Land hat dermaßen viele hohe Berge und so viele Wassermassen, die diese bearbeiten, dass es eigentlich Strom en mass mit einer unfassbar guten Ökobilanz geben müsste, aber es gibt in der Regierung ebenfalls genug Leute, die ihr Pfötchen aufhalten und so motiviert werden, es beim Status quo zu belassen, damit die Leute Generatoren und Batterien aus den Nachbarländern beziehen und nebenbei der Strom lieber in das nicht ganz benachbarte Bangladesch exportiert werden kann. Faszinierend war auch, dass der tiefe Schlamm uns bis in die Hauptstadt verfolgt hat. Selbst dort gab es teilweise derart tiefen Schlamm, dass darin Schuhe komplett verschwinden können. Durch den Matsch im gesamten Land liegt überall eine dicke Fein- und Grobstaubschicht, dass man über die heimisch gemessenen Grenzwertverstöße nur müde lachen kann. Interessant ist auch die Auslegung der Verkehrsregeln. Es scheint, dass immer der mit der lautesten Hupe als erstes fahren darf. Erstaunlicherweise richten sich viele auch zumindest ansatzweise nach dem Pfeifen und Winken der Verkehrslotsen. Eine Straße zu überqueren erfordert schon einiges an Mut, denn man muss einfach gehen und die surrende und hupende Masse teilt sich ähnlich wie in biblischen Geschichten das Meer und rollt um einen herum. Einen bemerkenswerten Unterschied bei dieser Behandlung erfahren nur die hübschesten ca. 10 % der weiblichen Bevölkerung. Für sie scheint der gesamte Verkehr zum Erliegen zu kommen und sie können Sie Straße ungelogen ohne Hindernisse überqueren. 

Zurück zu unseren physischen Erlebnissen. Nach 3 Tagen in Kathmandu haben wir unser Marschgepäck geschnürt und uns wieder auf den Weg auf das ehemalige Schlachtfeld begeben. Dieses Mal etwas weiter westlich zwecks Umrundung des Annapurnamassivs. Schon die ersten Meter mit unserem unfassbar schweren Marschgepäck sind bei der vorherrschenden Schwüle extrem schweißtreibend. Dann beschließen die mannigfaltig vorhandenen Wolken noch die ohnehin schon feuchten Reisfelder noch deutlich nasser zu machen. Trotz, oder gerade wegen der Regenjacke sind wir bis auf die Knochen nass. Das mit den großflächig angelegten Bewässerungen bleibt uns für den gesamten Trip erhalten. Morgens machen die Wolken meist eine Pause um dann nach wenigen trockenen Momenten wieder unser gesamtes Gepäck durch zusätzliche Wassereinlagerungen zu beschweren. Die traumhaft schönen Wanderwege durch die üppig grün tapezierten Bergschluchten sind komplett durchweicht und nicht selten müssen wir teils reißende Bäche durchqueren und uns an tosenden Wasserfällen vorbei manövrieren. Einmal rauscht ein sicher 30 Meter breiter gut genährter Wasserfall mit aller Kraft mitten auf den Weg. Wir haben Glück, dass gerade in diesem Moment vier Traktoren vorbei kommen, die uns dort durch bringen. Das Wasser hat uns jedoch trotzdem beinahe von den Gefährten gefegt und wir werden erneut im Schleudergang durchgespült. Bei der vorherrschenden Luftfeuchtigkeit ist an Trocknen der Sachen nicht zu denken und es wird zunehmend herausfordernder noch etwas trockenes zum Anziehen zu finden. 6 Tage umrunden wir das Annapurnamassiv bis wir endlich mal einen kurzen Blick auf die schneebedeckten Hänge und Gipfel werfen können. Als wenn bei der Premiere einer Neuwagenvorstellung das weiße Tuch zu schnell heruntergerutscht wäre, wurden die Hänge jedoch schnell wieder verhüllt und die Zuschauer mit einem Guss wieder in die sichere Zuflucht gescheucht. So schleichen wir mit unserem Gepäck immer weiter in luftige Höhen empor und die Landschaft verändert sich ebenso langsam aber stetig. Der üppige Mischwald mit seinen blutrünstigen Egeln weicht einem etwas lichteren Nadelbaumbestand, bis auch dieser kleineren Sträuchern den Vortritt gewährt. Je weiter wir uns die Berge empor schieben, um so öfter zeigen sich die massiven Felswände völlig ungeschminkt, hüllen sich jedoch aus Charme weiterhin in einen dichten Wolkenschleier. Dann ist es soweit und die Königsetappe der gesamten Wanderung steht bevor. In luftiger Höhe ist der Niederschlag der letzten Tage in Form weißer Flocken zu Boden gegangen, jedoch zeigt sich an diesem Morgen zum ersten Mal die Sonne als wir über den 5400 Meter hohen Thorong La spazieren. Die Aussicht und das Panorama entschädigen für alle Willensproben der letzten Tage. Nach einem sehr anstrengenden Abstieg sitzen wir im Bus und holpern Pokhara entgegen. Die Fahrt dauert ermüdende 15 Stunden über die uns inzwischen bekannten extrem allradantriebsbedüftigen Pisten. Es bleibt die Frage, was nun anstrengender war, die Wanderung oder diese Fahrt in der völlig überladenen Sammelbeförderung. Slowly slowly ist das Motto der Nepalesen. Ob beim Aufstieg in eisige Höhen der Berge, beim Fahren auf den Monsun-gebeutelten in die Hänge gekratzten Pisten, oder eben beim Befestigen selbiger samt Versiegelung mit einer rollwiderstandsreduzierenden Asphaltschicht. 

Wir begeben uns nun in tiefere Gefilde und melden uns mit den weiteren Erlebnissen aus Indien wieder. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Wolf (Montag, 23 September 2019 12:20)

    Hallo Meike und Dennis, schönen Gruß aus unserem NordseeUrlaub. Sind ja mal wieder starke Erzählungen. Eine Frage: wie habt ihr denn bei dem Weg um den Annapurna übernachtet, wenn das Zelt gefehlt hat? Übrigens ist die Sache mit der Wasserkraft aus dem Himalaya eine komplexe Sache. Bereits durch bestehende Staudämme (100 sind noch in Planung) kommt in den tiefer gelegenen Regionen (bis nach Indien) zu wenig Wasser an. Der Schuldige ist natürlich in Form des KLIMAWANDELS bekannt - so einfach ist das.
    Lieben Gruß
    Christiane und Wolf