Einweg Konsum und Reisen in Pandemiezeiten

Kennt ihr noch diese alten Kilometerzähler in den Autos, die es vor ihren elektronischen Funktionsgenossen gab? Da ragte meist im unteren Bereich des Armaturenbrettes ein Stift heraus, der nach Aufgabe eines kleinen Widerstands die Räder mit den Zahlen wieder in eine ordentliche Reihe von Nullen brachte. Zurück auf Null ist vielleicht etwas übertrieben als Resümee des bisherigen Jahres 2020, jedoch hat sich, ähnlich der Zahlen des Kilometerzählers, einiges neu sortiert. Für einen Moment rückt die Ferne ein wenig mehr in die Selbige und Menschen besinnen sich darauf, dass die Heimat, oder das ohne Fluggeräte erreichbare Umfeld auch eine Reihe interessanter “natürlicher“ Errungenschaften für die Erkundung bereithält. 

 

So kommt es, dass wir in diesem Jahr unserer Abstinenz eines fahrbaren Untersatzes entsagen und uns ein Gefährt zulegen, das es gestattet auch ohne anschließende ausgiebigere Besuche bei Orthopäden in ihm zu nächtigen. Zu diesem Thema und dem zugehörigen Reifeprozess lasse ich mich gegebenenfalls in einem anderen Artikel aus. Für die mit Abstand isolierteste Schlafgelegenheit ist also schon mal gesorgt. Nun fehlt noch das Reiseziel. In einer für unsere Art zu reisen völlig untypischen Weise, steht zwar die Himmelsrichtung fest, aber ein detaillierter Plan lässt sich aufgrund sonst recht volatilen Rahmenparametern nicht erstellen. Nicht nur einmal verwerfen wir das ganze Erholungsrezept und überdenken das gesamte Vorhaben. Dann ist er gekommen, der Tag an dem ich zum letzten Mal vor der Homeofficeabstinenz meinen Laptop zuklappe und wir in unser Wohnmobil nach Kochwaschgang steigen, um gen Süden zu rollen. 

 

Der erste Anlaufpunkt liegt im Allgäu, wo wir mit regionalen und nicht ganz so regionalen Köstlichkeiten empfangen werden und einen tollen Einstieg in unsere Reise beschert bekommen. Für ein gemütliches Auflockerungsprogramm für die Beine nach der Fahrt ist ebenfalls gesorgt. Weiter geht es in die nördlichste Ecke des Landes des Dolce Vita und dort hinauf in die Berge. Bewaffnet mit ein paar Karabinern krabbeln wir die Gipfel empor und ziehen uns an freundlicherweise exponiert platzierten Drahtseilen, die über die Berge wie endlose Blitzableiter gespannt wurden, in die Höhe. Es ist schon faszinierend, was in dieser Region vor nun etwas mehr als 100 Jahren in die Felsen gehauen wurde um einen Angleich von Besitzansprüchen zu tatsächlichem Besitz zu erwirken. Die Bewältigung der Wegstrecken bei Regen gestaltet sich schon schwieriger als bei Sonne. Kaum auszudenken, wie das wohl beladen mit gekapseltem Schießpulver und zugehörigem Verwertungsgerät bei Schnee und Eis sein mag. Herzstück der einst umkämpften Dolomiten sind die drei Zinnen und das Gebiet welches diese umgibt. Über Leitern auf nacktem Fels und durch enge Spalten schieben wir uns empor auf einen Gipfel, um das atemberaubende Panorama zu genießen. Wieder einmal eine sportliche Herausforderung, die eindeutig Appetit auf mehr macht. 

 

Mit wässrigem Mund überqueren wir die Grenze meines bereisten Landes Nummer 96 und lassen die Szenerie von Bled nebst See und der wirklich sehenswerten Hauptstadt Ljubljana auf uns wirken. Gestärkt durch diesen Wellnessausflug für die Sinne machen wir uns an die Beantwortung einer Frage. Wir wollen den höchsten Gipfel des Landes in unser Logbuch einreihen, jedoch nicht in einer der aktuell wegen überbordendem Interesse zum Bersten gefüllten Hütten übernachten. Ist es also möglich die 23 Kilometer und 2100 Höhenmeter in einem Tag, ohne die zwischenzeitliche Lockerung der Schnürsenkel zu bestehen? Um den Spannungsbogen nicht zu überdehnen, ja, es ist möglich, jedoch mit verfrühtem, der Tageszeit nicht typischem Müdigkeitsbefall und gehörig schmerzenden Füßen verbunden. Ein tolles Erlebnis, wenn man nach einer schier endlosen Stolperstrecke über Geröll, feiner granulierte Steine und einem anschließenden steilen Aufschwung über einen schmalen Grat, das Gipfelkreuz, beziehungsweise in diesem Fall die Gipfeltonne vor sich sieht. Zugegebenermaßen war der Rückzug deutlich kräftezehrender als in doppelter Geschwindigkeit den zuvor begutachteten Film zurücklaufen zu lassen. Mit halb geschlossenen Augen drücken wir uns die Siegespizza über diese Herausforderung rein und kapitulieren dieses Mal bei der Hälfte. Egal, hier ist scheitern erlaubt. 

 

Manche Menschen feiern jährlich die stetig wachsende Zahl von Kerzen, die wie ein Wald immer dichter auf einem sehr begrenzten Platzangebot verteilt stehen und fragen sich, ob es einfach zu viele geworden sind, um diese in einem Mal auszupusten, oder ob die Lunge auch nicht mehr das ist, was sie einmal war. Ich neige dazu zu überlegen, wann ich das letzte mal bei einem bereits besuchten Ort war und bin dann erstaunt wie die Zeit rennt. Das Ergebnis ist in beiden Weisen der Visualisierung jedoch identisch. Bei unserer nächsten Station ist mein letzter Besuch mindestens 30 Jahre her. Die Bewohner der Karnevalshochburg nördlicher Gefilde schicken sich zum Besuch einer Karnevalshochburg südlicherer Gefilde, auch Venedig genannt, an. Die Sonne strahlt mit ihrem breitesten Grinsen vom Himmel, als wir uns durch die engen Gassen treiben lassen. Was eine Stadt, traumhafte alte Gebäude reihen sich an Kanäle, die sich durch die Stadt ziehen wie es idealtypisch Adern durch einen gut trainierten pulsierenden Muskel zu tun pflegen. Nur dass dieser Muskel aktuell Trainingspause hat und nicht auf Hochtouren damit beschäftigt ist, endlose Gruppen von Menschen, die einem Anführer mit Schirm folgen, durch seine Arterien zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten zu quetschen, damit sie den Bus, oder das Schiff zum nächsten Sinneshappen erhaschen können. Ein wahrer Genuss auch einmal verweilen zu können und nach dem Besuch tatsächlich erholter als gestresster im Boot dieses Städtchen wieder zu verlassen. Das geht uns bei allen weiteren Stationen in Italien so, die ich nun jedoch im einzelnen nicht alle aufführen will, da eine solche Aufstellung in nahezu jedem anständig bestückten Reiseführer aufzufinden ist. 

 

Was wäre jedoch eine gute Suppe ohne eine anständige Prise Salz, oder einer meiner geistigen Ergüsse ohne die kritischen Blicke über den Tellerrand. Über den Anblick von achtlos in die Natur geworfenen schwer von der Natur verdaulichen und sich meist in den Ozeanen sammelnden Plasikerzeugnissen habe ich mich ja bereits einige Male ausgelassen. Was mich jedoch ebenfalls schockiert ist, mit welcher Geschwindigkeit sich unser Planet bis in die entlegensten Ecken mit Einweg-Gesichtsvedeckungen überziehen lässt. Diese bläulich schimmernden Kunststofffetzen liegen einfach überall. Es ist mir wirklich schleierhaft, dass das außer mir niemanden stören soll. Würden dort überall 50 Euro Scheine liegen würden die Knie der sonst so bückfaulen Menschen wieder wunderbar funktionieren, aber diese elenden Einwegmasken hebt keiner mehr auf, wenn sie einmal den Boden berührt haben. Nur nachvollziehbarerweise natürlich auch kein anderer, der sie vorher nicht sein Eigen genannt hat. Versteht mich nicht falsch, ich kann schon nachvollziehen, dass die Maske ausgedient hat, wenn diese mal mit dem urbanen Unrat auf unseren Straßen in Kontakt kam, aber warum können die Leute das Teil dann nicht in einer dafür vorgesehenen Sammelstelle entsorgen? Warum es plötzlich die bis vor einigen Wochen oft liebevoll selbst hergestellten mehrfach tragbaren Stoffpendants nicht mehr tun, macht dieses Rätsel umso undurchdringlicher. 

 

Ein weiteres Thema über das ich in den letzten Monaten immer wieder stolpere ist der endlose Müll in Form von E-Scootern, der diesen Planeten in einer unglaublichen Geschwindigkeit überzogen hat. Wieder zurückschauend erinnere ich mich noch gut daran, wie Touristen sich noch zu Fuß, oder mal im Bus längere Distanzen überwindend, die schönsten Darbietungen einer Stadt oder eines Landes erschlossen haben. Dann kamen diese Doppeldeckerbusse auf, die den Menschen schon deutlich bequemer die Perlen aus dem Muschelkörben serviert haben. Nun dann diese Roller, die einerseits wie Mikadostäbe die Gehwege blockieren, oder wie ein Schwarm Bienen durch die Gegend schwirren, wenn der Imker sich daran macht ihnen ihre liebevoll zusammengetragenen Energiereserven zu rauben. Es kommt scheinbar nur auf den Spaß an. Rücksicht? Die Dinger haben ja keinen Spiegel und schließlich ist es ja für die liebevoll optimierte Instagram Story. Unter welchen Umständen Batterien hergestellt oder gar entsorgt werden, das sieht keiner bei seinem wilden Erlebnistrip. In einer Mail einer Naturschutzorganisation vor einigen Tagen klaffte der Spruch: „Wir konsumieren unseren Planeten zu Tode.“ Sehr passend und vielleicht sollte jeder von uns mal überlegen, welchen Beitrag er leisten kann, denn wir steuern durch unsere Nachfrage das Angebot mit. In dem Sinne, immer schön aufpassen, dass die Maske beim Rollerfahren nicht vom Arm rutscht.



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Kommentare: 2
  • #1

    Wolf (Samstag, 10 Oktober 2020 13:15)

    Hallo Dennis, sehr schön, Deine skizzierten Eindrücke aus den Alpen nebst den Gedanken an die mühseligen "alten Zeiten". Ebenso der Text zu Venedig, fühlten wir uns doch sofort an die selbst erlebten Impressionen erinnert.
    Lieben Gruß an Meike und Dich
    Chrstiane und Wolf

  • #2

    Jan (Samstag, 23 Oktober 2021 15:14)

    Hey Dennis,
    klasse Blog mit grandiosen Bildern. Bin gespannt, wann es wieder auf Reise geht und was Du dann zu berichten hast ;-)
    Viele Grüße
    Jan