
Mein mir in den letzten 10 Jahren ans Herz gewachsenes Pilgerprojekt erwacht in einer Zeit zum Leben, wo die Menschen die bereits ab August erhältlichen von 1-24 nummerierten Zuckerquellen aufstellen und auch größtenteils schon wieder aus ihrem Aufsteller entnommen haben. Traditionell die Zeit in der wir uns im Fernseher noch einmal das Jahr im Zeitraffer mit emotionaler musikalischer Untermalung zu Gemüte führen. Dieses Jahr haben wir beschlossen, dass das Jahr noch nicht bunt genug erscheint für einen Rückblick, sondern noch nach einem farbenfrohen Blick nach vorn bedarf. In manchen Situationen wünscht man sich einfach die Augen zu schließen und nach einer Weile, nach der Bewältigung der persönlichen Optimierungspotentiale, wieder aufzuwachen. Gefühlt haben wir dieses Jahr eine ganze Weile geruht, an der Uhr wurde gedreht, als wäre sie ein Dynamo zur Stromerzeugung, aber so ganz abgearbeitet scheint die Liste der Punkte für die Zwischenzeit nicht.
Nach einer schier endlosen Durststrecke seit unserer Wanderung über die Peaks of the Balkans gelüstet es uns wieder nach einem vergleichbaren Austritt in eine gekapselte Welt, wo einem nicht die Nachrichten der zukünftigen Generationen von Menschen, die sich unter Dauerbeobachtung in ein Haus sperren lassen und alle gespannt darauf warten, wer wohl als erstes wieder vor die Tür gesetzt wird, um die Ohren zwitschern. Nur um Missverständnissen vorzubeugen, ich spreche nicht über die C Promis beim großen Bruder sondern unsere Politiker, die ihrem großen Vorbild in den gespaltenen Staaten von Amerika nacheifern und im Sekundentakt das Volk mit ihrer Meinung voll zwitschern. Nach einem kurzweiligen Flug wird unser Vorhaben Realität und die Flugzeugtür öffnet sich in unser traumhaftes Wunderland für die nächsten Wochen.
Wir sind auf den Kapverden gestrandet, wobei man sich bereits beim Anflug fragt, wo in dieser steinigen Wüste wohl das Grün als Namensgeber gefunden wurde.
Es spielt keine Rolle, denn die Inseln sind sehr schön, mal weitestgehend flach, mal schweißtreibend hügelig. Das Motto lautet „No Stress“ und es hält was es verspricht. Wie bei einem Perspektivenwechsel schauen wir nun von außen auf die Geschehnisse und die Wogen in der Magengegend beruhigen sich langsam, wie der Ozean nachdem die Sturmfront durchgezogen ist.
Vor einigen Jahren habe ich mir vorgenommen eher 100 Länder zu bereisen als zum 14600. Mal aus meinem Bett zu krabbeln, was in etwa meinem 40. Geburtstag entsprechen sollte. Stolz kann ich nun verkünden, dass mir trotz der allseits bekannten Unwiedrigkeiten, dieses Vorhaben mit der Einreise in das hiesige Land geglückt ist und ich noch etwa 730 Rotationen der Erde um die eigene Achse Zeit gehabt hätte, mein mir selbst gestecktes zeitliches Limit nicht zu reißen. Was ich dabei alles gesehen habe hat mich oft begeistert, aber auch nachdenklich gestimmt, in den Wahnsinn getrieben (meist beim Anblick der endlosen Mengen Müll), tief geprägt und mir stets als Antrieb gedient. Ich liebe diesen Planeten und freue mich darauf die restlichen Ecken zu erkunden.
Gestartet sind wir in unser aktuelles Abenteuer auf der Insel Boa Vista, die wir laufend, aber auch einmal per Quad erkundet haben. Die Insel besteht fast nur aus Strand und hinter dem selbigen setzen sich die Sanddünen schier endlos fort, um dann durch eine hügelige Steinwüste aus Lavagestein abgelöst zu werden. Diese liegt wie eine akkurat zusammengetriebene Viehherde umringt von jeder Menge traumhafter Sandstrände. Ähnlich wie beim Hausputz, werden an den Orten die durch die meisten Touristen besucht werden auch die allgegenwärtigen Plastikmüllvorkommen unter den Teppich gekehrt, aber wehe man wandert weiter. Die Menschen hier sind anders als in anderen Ländern nicht vergleichbar achtlos bei der Entsorgung, aber mit jeder Woge landen endlose Mengen Unrat an den Küsten. Wie bereits beschrieben ruft der Anblick schon einiges an Unmut in mir hervor, aber das will ich an dieser Stelle nicht zwingend weiter vertiefen.
Weiter ging es mit der Fähre auf die Insel São Vicente. Auch ein wahrlich steiniges Konstrukt. An der Pünktlichkeit der Überfahrt könnte sich unser heimisches zwischen zwei Gewerkschaften zerrissenes Nah- und Fernverkehrsunternehmen eine Scheibe abschneiden. Mal abgesehen von arktischen Temperaturen aus den Klimaanlagen, die mich sogar dazu bewegt haben auf einer Fußmatte auf einem Treppenabsatz zu nächtigen, war die Fahrt reibungslos, wenn auch eine Herausforderung für den Magen, die zuvor verspeisten Köstlichkeiten zu bewahren.
Auf São Vicente sind wir ebenfalls viel gewandert, haben einsame Buchten und annähernd genauso einsame Leuchtturmwärter besucht. Man stelle sich vor, dass dieser Mensch in einem traumhaften Verlies hockt, umringt von endlosen Massen an Wasser und dafür mit 30 Euro im Monat entlohnt wird. Er hat uns auf den Turm geführt und uns gezeigt wo er Fisch für sich und seine vierbeinige Unterhaltung fängt. Ein traumhaftes Setting und spannende Geschichten haben sich in unsere Sinne gebrannt, mit denen bewaffnet wir uns wieder auf den Rückweg machten.
Das Hotel in Mindelo, welches wir bezogen haben, bedarf ebenfalls einer Abhandlung in einem eigenen Absatz, da es in meinen Augen auch ein in Stein manifestiertes Sinnbild für die hiesige, wenn nicht sogar auf dem gesamten Kontinent weit verbreitete, Mentalität ist. Früh morgens stehen wir nach der Ankunft vor dem angestrebten Hotel. Zwei Stunden bewachen wir den Eingang wie die Schweizer Garde den Vatikan, bis mal jemand kommt. Entschuldigung, ich bin spät dran, da ich am anderen Ende der Stadt lebe. Gäste waren im Haus keine außer uns. Alle Zimmer sahen aus wie sie der letzte Gast verlassen hat. Wir konnten uns eines aussuchen, das dann in 15 Minuten hergerichtet wurde. Ich glaube ein Lappen war nicht involviert, aber immerhin frische Bettwäsche. Statt alle Zimmer herzurichten sitzt das mit der Rezeption betraute Mädel den ganzen Tag in der Gegend herum und starrt auf das von den endlos langen Fingernägeln an die Hand gebannte Telefon. Irgendwann in den frühen Nachmittagsstunden hat sie sich dann wieder auf den langen Heimweg gemacht. Es war schon etwas befremdlich so ganz allein in diesem großen Haus. Gerade so an Weihnachten denkt man da schon gern mal an diesen Film mit dem vergessenen Kind, welches sich mit allerlei Erfindungsreichtum gegen die etwas lästigen immer wiederkehrenden Einbrecher zur Wehr setzt. Ein dauerhaft Zugezogener hat uns berichtet, dass das alles normal ist. Die Leute haben keine Lust mehr zu arbeiten. Lieber Party Party aber woher das Geld kommen soll ist eine weitere Zeile in der Sammlung der ungeklärten Fragen der Menschheit. Klassische Rollenverteilung hieß hier mal, dass Männer mit dem Boot auf den Ozean geschippert sind und sie während der Wartezeit auf eine an einem Haken endende Beute-Beute-Beziehung die mitgeführten Reserven an Feuerwasser geleert haben. Derweil haben die weiblichen Parts der Beziehung sich die Kinder auf den Rücken gebunden und die hier allgegenwärtigen Kopfsteinpflasterstraßen erbaut. Als Dank dafür gab es ein Stück Land geschenkt. Nicht sonderlich großzügig so in der Wüste, aber Viele haben dann doch etwas Wasser vorgefunden und etwas zu Essen angebaut. Einige hatten mehr Glück und ein Stück zugewiesen bekommen, wo Jahre später unser Flieger gelandet ist und eine gute Entlohnung erhalten, um ihren Besitzanspruch zu vergessen. Die restlichen Stücke Land verfallen nun größtenteils, weil die jüngeren Generationen keine Lust haben die Landwirtschaft auf dem Familiengrundstück fortzuführen. Lieber ein kühles Blondes nach der Fahrt von zwei hart umkämpften Touristen vom ehemaligen Grundstück der Großeltern in die Stadt genießen. Schade, wie dieser einstige kleine Wohlstand der Familie so aufgegeben wird. Auch will sich mir nicht erschließen, warum die Leute lieber faul in der Hängematte liegen und warten bis ihnen die Sanduhr wieder wertvolle Körner geraubt hat, statt mal den überall angespülten und herumliegenden Müll einzusammeln um dann erst auf den dann doch deutlich ansehnlicheren Strand zu starren. Nach eingehender Betrachtung komme ich jedoch zu dem Schluss, dass es immer noch besser ist ,als die kostbare Lebenszeit dem zeitraubenden Output der mannigfaltigen Streamingdienste darzubieten.
Für die Feierlichkeiten zum 2021. Geburtstag einer weltbekannten Berühmtheit aus dem nahen Osten haben wir uns eine gemütliche Unterkunft im Süden der Insel Santo Antão gesucht. Diese liegt in einem kleinen Tal, wohin sich ein kleiner Rinnsal Frischwasser verirrt hat. Es ist schon faszinierend, wie wenig Wasser wie viel Grün produzieren kann. Überall haben die Einheimischen kleine Gärten angelegt, die wie Logen in der Oper an den steilen Berghängen allerlei Pflanzen einen Nährboden für ein prächtiges Gedeihen bieten. Das Ganze wird von einem clever durchdachten System aus künstlichen Wasserläufen gespeist. Diese wurden in teils Schwindelerregenden Höhen an die Felswände betoniert und dienen auch als Wege um die entlegenen Felder zu erreichen. Da wird einem schon anders an manch einer Stelle auf diesen Konstrukten zu balancieren während es direkt daneben steil bergab geht. Neben dem Genuss vieler Wanderungen und von köstlichem Essen, haben wir noch die Nasen in den unermüdlich rauschenden Ozean gesteckt. Es ist schon toll zu sehen wie viele bunte Fische sich dort noch tummeln.
Den Abschluss unserer Reise werden wir dann auf der Insel Sal begehen. Bei Weitem die am meisten von ausländischen Besuchern frequentierte Insel. Wir sind gespannt was uns dort noch erwartet, bevor wir aus unserem persönlichen Wintermärchen erwachen. Ein paar Mal können wir die Schlummertaste noch betätigen und darauf hoffen, dass die Abenteuer noch ein wenig andauern.
Bis bald dann mal wieder in frostigen Gefilden mit warmen Detailschilderungen unserer Impressionen.
Hier noch ein paar nützliche Links für alle, die bei der Lektüre meiner vorstehenden Schilderungen Lust bekommen haben sich auch einmal diesem Reiseziel zu widmen.
Fährverbindungen
https://www.cvinterilhas.cv/home
Hotel Santo Antao
https://www.martranquilidade.com
Flüge zwischen den Inseln
https://bestflycaboverde.com
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Steffen (Sonntag, 02 Januar 2022 20:01)
Freut uns sehr von Euren Reisen und Eindrücken zu lesen. Weiterhin viel Spaß, genießt Land und Leute.
PS:
Glückwunsch zur #100 �