
Aufregung macht sich breit, die privaten Kalender werden sondiert und überlegt, wie sich dort die wohlverdienten und sehnlich herbeigewünschten Auszeiten einfügen. Dann werden die stets bereitstehenden Setzlinge mit dem zuvor fixierten Aussaatkalender synchronisiert und somit eine grobe Reise- bzw. Wachstumsvision geschaffen.
In diesem Jahr war es wie verhext, denn keiner dieser Setzlinge wollte so recht Wurzeln schlagen, austreiben und üppige Früchte davontragen. Mangelnde Flugverbindungen, Personal der Fluggesellschaften, das in unergründliche Alternativbranchen abgewandert und für Flüge somit nicht verfügbar ist, mangelnder Glaube an vorhersehbare Verhaltensmuster hoch dotierter Selbstdarsteller auf Ministerposten und der Gleichen mehr torpedieren den sonst eingeschliffenen Aussaatprozess. Am Ende keimt der Hattrick, das Komplettieren der Perlen des Balkans, am besten. So soll es sein, aber der uns bevorstehende Spontanroadtrip lässt die essentielle Vorfreude mangels vorheriger Planungserfordernisse und vor allem Buchungen, nicht in überbordender Weise aufkommen. Es gleicht ein wenig der Aussaat einer Pflanze, die auf jeden Fall im Wohnzimmer stehen wird, wo im Vorfeld jedoch nicht klar ist, ob es eine Distel oder eine Orchidee zu werden vermag.
Fahren wir zunächst mit der Würdigung von Flora und Fauna fort. Die Aussaat scheint auf dem Balkan ausgesprochen gut funktioniert zu haben, denn Grün ist die dominate Farbe. Um die Szenerie etwas besser greifen zu können, kann man sich die Landschaft wie den Zuschauerraum vor einer Bühne bei einer gut besuchten Konzertveranstaltung vorstellen. Dicht gedrängt stehen die Berge über den gesamten Balkan verteilt und immer wieder versperren die hochgewachseneren Exemplare den Übrigen den Blick nach vorn. Eines haben alle diese versammelten imposanten Eminenzen gemein, sie haben sich bis zu den Schultern in saftiges Grün gehüllt und darüber ragt ihr graues und schroffes Antlitz aus dem Nadelkleid. Wir sind sehr überrascht, wie unangetastet grün die Landschaft von Slowenien bis an die griechische Grenze ist. Nur in Richtung der Küsten pflegen die bis an die Adria stehenden steinernen Riesen eine etwas lichtere Kleiderordnung, die durch die nicht enden wollende Bebauung und Versiegelung der Küste zusätzlich reduziert daher kommt.
Gefrönt haben wir unserer Bergliebe zunächst auf zwei Klettersteigen und kleineren Wanderung in den Julischen Alpen. Die Region um den Triglav hat uns bereits bei unserem ersten Besuch sehr gut gefallen. Dann geht es weiter zu den Plitwitzer Seen in Kroatien und anschließend queer durch Bosnien. Nachdem wir die zu einem perfekten Instagram Selbstdarstellungsspot ausgebauten Kravice Falls besucht haben, geht es nach Mostar mit seiner mittelalterlichen Stari Most und der liebevoll restaurierten Altstadt, die sich um eben diese historische Flussqueerung drängt. Diese war sehr sehenswert, auch wenn mit den zahllosen Restaurants und Souvenierläden ein Eindruck eines Freilichtmuseums aufkommt. Ebenso steht die Hauptstadtschwester Sarajevo dieser in wenig nach. Auch hier wurde die Altstadt liebevoll restauriert, mit Restaurants und Souvenirläden bestückt und es lässt sich allen Ortes vorzüglich lokale Spezialitäten genießen und lokalen Nippes für das heimische Wohnzimmer unweit des ebenso benannten Stadtteils erstehen. Besonders gut hat uns die Wanderung auf den Hausberg der Stadt gefallen. Unweit der Altstadt positioniert, bietet er ein eindrucksvolles Panorama über die ihm zu Füßen liegende Ebene. Bei der Rückkehr zum Auto von dieser Wanderung stockt uns direkt wieder der Atem beim Anblick der komplett offenen Schiebetür unseres Gefährts. Alles war darin verblieben, teures Objektiv für die Kamera, Pässe und sogar einen Autoschlüssel hatten wir freundlicherweise dort gelassen. Noch freundlicher fanden wir jedoch, dass sich keiner an unserem Hab und Gut bedient hat. Unfassbar, da soll mal einer sagen, dass es keine ehrlichen Menschen mehr gibt. Um den Tick, nun immer 3x die Verschlossenheit von Fenstern und Türen zu kontrollieren bereichert, setzen wir unsere Reise fort.
Kommen wir zu meinem Lieblingsdorn im Auge. Je weiter wir so rollen umso öfter erhaschen wir immer wieder die endlosen Müllmassen, die so auf dem zuvor bereits bemühten Bild des Festivalgeländes, achtlos zu Boden geworfen wurden und so nun zu Füßen der Konzertbesucher liegen und in den seltenen Regengüssen dahingeschwemmt werden. Bei der aktuell allgegenwärtigen Diskussion über die Aufnahmevorraussetzung von Ländern in den erlauchten Kreis der Sterne auf blauem Grund würde ich mir wünschen, dass eine funktionierende Unratentsorgung auch zu den Mindestvoraussetzungen zählen würde. Wie oft wir an Stellen vorbei kommen, an denen Sammelbehälter aufgestellt wurden und mehr daneben liegt als darin, ist schon frappierend. Hier gibt es durchaus Potentiale für Verbesserungen und ich würde dort primär investieren und nicht in das kaum sinnvoll scheinende Autobahnprojekt, welches das winzige Land Bosnien nach Wünschen der Menschen mit Weisungsbefugnis bald durchquert, oder in den Nachbarstaaten bereits realisiert wurde.
Weiter ging es in den Norden von Montenegro, wo wir über eine wirklich sehenswerte Scenic Road zum
Durmitor Nationalpark gelangen. Dieser ist wirklich malerisch und auch die Wanderung auf den höchsten Berg des Landes, den Bobotov Kuk ist traumhaft schön. Höhen und Tiefen liegen oft nah beieinander, so auch hier, wo zu Füßen des Bobotov die Tara Schlucht tief in die umliegenden Gesteinsschichten geschürft wurde. Kleiner Funfact vor der Grenze zu Nordmazedonien: In Montenegro ist es Pflicht, dass man für alles einen Kassenzettel bekommt und das in dem Moment wo es bestellt wurde. So kam es, dass uns im Laufe unseres Besuches ein kleiner Wald in Form des weißen Endproduktes mit schwarzen Lettern bedruckt übergeben wurde. Bei Mautstationen, im Restaurant bei jeder Bestellung wurde in einer Mappe ein neuer Zettel eingefügt, einfach überall kamen winzige Zettel zum Vorschein, die eine Reproduktionsrate von Ungeziefer zu haben schienen.
Der südlichste Punkt unseres Roadtrips führt uns nach Nordmazedonien. Der Korab direkt an der Grenze zu Albanien markiert mit seinem Gipfel direkt den höchsten Punkt dieser beiden Anrainer. Die Fahrt dorthin raubt uns die Nerven. Als wären wir zweimal falsch abgebogen, stehen wir nach einer kleinen Brücke vor einer Piste auf der die Paris Dakar ausgetragen werden könnte. Unweigerlich weckte die Situation Erinnerungen an meine Reise durch Afrika, als ich auf einer ähnlichen Piste unterwegs war und mir nach einiger Zeit ein Abschlepper einen Tausch meines und seines mitgeführten Fahrzeugs angeboten hat. Die gesamte anschließende traumhaft schöne Wanderung auf den Korab wurde in meinem Denkapparat von der schier endlosen Piste dominiert. Nachdem auch auf dem Rückweg unser treuer Untersatz noch in einem Stück wirkte, machte sich mit steigenden Geschwindigkeiten Euphorie über Wanderung und überstandene Piste breit. In 150 Metern links hieß es dann auf der Weiterfahrt irgendwann. Und wieder standen wir vor so einer Piste. Wirklich? Einem Mangel an geistiger Flexibilität erlegen folgen wir dieser sich exponentiell verschlechternden Piste vorbei an Straßenbaumaschinen, die ein Chaos sondergleichen, aber keine Straße geschaffen haben, bis zu einem Punkt, wo es unweigerlich nicht weiter geht. Zu steil, zu glatt, zu aussichtslos. Auf einem Streifen Schotter, der kaum breit genug ist um darauf zu fahren müssen wir das Fahrzeug wenden und alles wieder zurück. 1:15 Stunden x 2 und Fortschritt = 0. Ich brauche nicht den Mathematiker neben mir zu befragen, um zu wissen, dass da nichts außer schlechter Laune als Ergebnis herauskommt. Endlose Selbstbeschimpfungen später stehen wir wieder an der in 150 Metern abbiegen Stelle. Auch das hat das Fahrzeug aus einer deutschen Wertschmiede überlegt und das sollte auf jeden Fall Werbung für das Fabrikat sein. Unfassbar was wir bei den ohnehin hohen Temperaturen zusätzlich transpiriert haben. Entspannung kommt anschließend am Lake Ohrid auf.
Nun ist es soweit. Irgendwann ist es Zeit zu drehen und wieder gen Norden zu reisen, auch wenn es sich so ein bisschen nach Ende des Urlaubs anhört. Den Schmerz lindern wir uns in traumhaften Küstenorten wie Kotor, Dubrovnik, Piran und mit Eis und weiteren Köstlichkeiten an den zuvor schon erwähnten Küstenabschnitten der Adria. 5500 km sind wir durch Europa getourt. Auf 102 besuchte Länder komme ich nun und mein Herz ist um einige tolle Erlebnisse reicher. Die dringend erforderliche Erholung ist trotz Mangel an vorheriger Planung und Wurzeln der Aussaat dennoch entstanden. Macht es uns nach und erlebt es selbst. Der Osten Europas hält viel für uns bereit und es gilt die Schätze zu heben.
Bis bald zum Reisebericht in persona.
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Wolf (Samstag, 06 August 2022 17:38)
Hallo Ihr Lieben, ein sehr schöner Bericht. Die Sprache in übertragenen Bildern ist nochmals ausdrücklicher, im Kopf des Lesers rückübersetzt in Stimmungen nimmt mich der Text besonders gut mit auf die Reise.
Lieben Gruß und bis bald
Wolf