Die Wiege der Kulturen

Alles nimmt jährlich seinen Anfang, wenn mit Ende der Sommerferien langsam aber sicher Spekulatius und Dominosteine zunächst dezent dosiert, jedoch in schnell steigender Konzentration die lokalen Einzelhandelsfilialen erobern. Zusätzlich macht sich mit zunehmender Fastenkur des Abreißkalenders auch eine merkliche Verkürzung des natürlich belichteten Tagesanteils bemerkbar. Irgendwann fangen Menschen an Wein, welcher für den direkten Genuss nicht tauglich ist, durch Zugabe von vielerlei Gewürzen und Süßungsmitteln genießbar zu machen. Ein Hauch von Zimt und weiterer exotischer Gewürze liegt in der Luft. In Vorfreude auf die bevorstehenden Weihnachtstage vertilgen die Menschen täglich vorportionierte und mit Zahlen versehene Süßspeisen. Aber worauf fußen all diese jährlich wiederkehrenden und mit voranschreitender Jahreszeit vermehrt auftretenden Bräuche? Was bietet sich in dieser besinnlichen und mit den Jahren immer weiter vom eigentlichen Fokus abrückenden Zeit mehr an, als auf Ursachenforschung zu gehen und sich zu den „Handlungsorten“ des berühmtesten Buches der Welt aufzumachen. 


Nach einer ungewöhnlich kurzen Vorfreude- und Vorbereitungsphase sitzen wir in unserem dahingleitenden Luftschiff und tauchen gerade in die dichte Dunstglocke über Kairo ein, wie ein scharfes Messer gepaart mit unachtsamer Handhabung beim Brotleib teilen, in den Daumen. Der aktuell noch unter uns liegende Patient hat jedoch ein etwas gravierenderes Problem als eine dezent blutende Schnittwunde. Die Diagnose ist schnell gemacht, hier liegt eine akute Venenverstopfung und massives Übergewicht vor. Zudem leidet der Patient unter massiver Atemnot und ihm schnürt das permanente schnüffeln von Abgasen die Lunge zu. Noch röchelt er durch seine Raucherlunge, aber das ganze wirkt, als wenn das Konstrukt bald kippen könnte. 30 Millionen Menschen nennen die Stadt ihr zu Hause. Zu Hause scheint keiner zu sein, es wirkt als wenn sich alle gleichzeitig in ihren Wagen durch das sich immer weiter verzweigende Venennetz zwängen und dabei durch eine permanente Angst getrieben werden, jemand anders könnte schneller im Stau landen. Pausenlos wird gehupt und jede noch so kleine Lücke zwischen zwei Autos direkt zugefahren. Die Motoren knattern und in der Luft hängt permanent der Geruch von Benzin. Hinzu kommen die allgegenwärtigen Ablagerungen von Unrat an den Venenwänden, welche sich bei den eigentlich vorhandenen Entsorunsbehältnissen auch kaum erklären lassen. Die Fahrt vom Flughafen zum Hotel durch dieses Eindrucks-Potpourri zieht sich ewig. Wir rauschen über einen verhältnismäßig gut ausgebauten Highway auf dem ein Durcheinander herrscht wie am Eingang eines Bienenstocks. Für die Straße wurden teilweise Hälften der umstehenden roten Backsteinbauten eingerissen, die dem Bauprojekt zu nahe gekommen sind. Vielfach prangt nun an der neuen Hauswand der bunte Anstrich des Zimmers, was sich an der jeweiligen Stelle einmal befand. Teilweise sehen die Karos der ehemaligen Zimmer wie riesige bunte Fliesen an den Außenseiten der Häuser aus. Nach einer gefühlten Ewigkeit endet unsere Fahrt in der denkbar kleinsten Verästelung des die Stadt durchziehenden  Venenennetzes und es herrscht erstaunlicherweise plötzlich Ruhe. In dieser genießen wir den Blick von der Dachterrasse der Unterkunft auf die direkt vor uns liegenden Pyramiden. Diese imposanten Urzeitbauten stehen da und schauen seit Ewigkeiten zu, wie ihnen die Stadt immer weiter auf den Leib rückt, wie einst die Heere feindlicher Völker den Schlössern der in ihn ruhenden Pharaonen. Das letzte noch real existierende Weltwunder der Antike ist wahrlich einen Besuch wert, was sich, den dortigen Besuchermassen nach zu urteilen, auch gut herumgesprochen hat. Nach dem Besuch der Pyramiden führen uns unsere Streifzüge durch weitere Teile der großzügigen Ansammlung von Behausungen fort. Sehr spannend alles, aber wir bereuen den zeitnahen Abschied gen Sinai dennoch nicht. 


Mit dem Nachtbus machen wir uns auf den Weg und sind erstaunt über die Vielzahl an Polizeikontrollen. Der Sinn erschließt sich uns aber nicht. Kaum lassen die Polizisten vom Handy, oder vom Gespräch mit irgendwem ab während sie wahllos mal eine Hand in unser Gepäck stecken, als wäre es das Maul eines hungrigen Krokodils. Was sie bei den Kontrollen finden wollen, erschließt sich uns ebenso wenig wie der Sinn, unsere Durchfahrt in zahllosen riesigen Büchern zu dokumentieren. Schon lustig die Vorstellung wenn unsere Nachfahren in 2000 Jahren diese Aufzeichnungen finden und was sie da wohl hineininterpretieren. Nun gut, wir sind nicht wegen der Kontrollen dort hingereist, sondern weil der Berg ruft. Der Mount Sinai ist unsere erste Station am Set für die bildliche Umsetzung biblischer Szenen. Nicht unbedingt biblisch, aber auf jeden Fall episch ist der Sonnenuntergang, den wir vom Gipfel aus beobachten. Langsam legt sich ein zunächst orangener, dann unter Beimischung von weißer Deckfarbe und Blau ein fliederfarbend wirkender Schleier über die Landschaft. Begeistert treten wir nach der ausführlichen Dokumentation dieses Schauspiels den Rückweg und die Weiterfahrt zum Hafen in Nuweiba an, um nach Jordanien überzusetzen. Dass geplante Fahrten auch mit Verspätung beginnen ist wohl weniger berichtenswert als das Erlebnis nach Ankunft. Wie gewohnt hat sich zum Empfang der Fähre bereits eine kleine Traube Menschen versammelt, um etwas Zeit in ihren nicht mehr ganz so frischen fahrbaren Untersätzen gegen den Inhalt unserer Geldbörsen zu tauschen. Verwunderung kommt auf, als wir den ca. 100% überhöhten Obolus nicht entrichten wollen. Was wir denn zahlen wollen? Na die Hälfte. Während sich die aufgebrachte Meute noch von unserer Preiskeule erholt, schaltet einer der Taxifahrer auf Egoismus und schlägt ein. Dafür schlagen die anderen wiederum bei ihm ein. Wir retten uns, ihn und unser Gepäck ins Auto und die aufgebrachte Meute stürzt sich auf unseren Faradayschen Käfig, tritt gegen den Lack und reißt den Heckspoiler ab. Schon erstaunlich wozu Menschen fähig sind für umgerechnet 13 Euro. Willkommen in Jordanien. 


Nach einem wirklich hervorragenden Abendessen und Frühstück im selben Laden versuchen wir unseren Mietwagen etwas früher als geplant in Empfang zu nehmen. In guter alter deutscher Behördenmanier werden wir vertröstet. Kommt morgen wieder, ruft in 10 Minuten nochmal an, ich arbeite erst in 2 Stunden.  Dieses sich immer schneller drehende Magazin aus dem die Vertröstungen abgefeuert wurden, ließ sich eigentlich nur aufhalten indem wir uns in das Auge des Hurrikane zur Mietwagen Station am Flughafen begeben. Siehe da, Beharrlichkeit zahlt sich aus und wenig später rollen wir gen Wadi Rum. Die Wüste mit ihren roten Sanddünen ist ein absoluter Augenschmaus. Überall ragen schroffe Hügel empor, die mit reichlich rotem Sand bestreut wurden wie Waffeln mit endlosen Mengen Puderzucker. Insbesondere die im nahezu horizontalen Winkel einfallenden Strahlen unseres Zentralgestirns, tauchen alles in das uns bereits vertraute dezente Lila. Sehr sehenswert dieses Schauspiel! Auch der am folgenden Tag stattfindende Besuch von Petra ist ein Hochgenuss für die Sinne. Gegenüber des weltberühmten Schatzhauses in dieser prächtigen Stadt der Nabatäer, windet sich ein kleiner Weg die Felsen empor, welcher zu einer besonders exponierten Lage führt, um eines der Bilder zu erhaschen, die nur 2/3 der Besucher haben. Kaum wollen wir den Fuß auf die erste Stufe setzen, kommen schon aus allen Richtungen Schmeißfliegen, die uns den Weg versperren. Ohne dem stilistischen Mittel der Übertreibung zu frönen, wir sprechen über einen Weg, der in wenigen Minuten von nahezu jedem begangen werden kann und man will uns weiß machen, dass wir ohne Guide nicht dort hinauf gehen dürfen. Auch wenn mein letzter Besuch bereits 3 Jahre zurück liegt, kenne ich noch die Hausordnung und weiß, dass hier gerade ein leckeres Stück Käse auf einem filigranen Metallkonstrukt thront, was nur darauf wartet nach meinem Portmonee zu schnappen. Schnell kochen die Emotionen hoch und ich befürchte, dass bald auch hier Heckspoiler abgerissen werden, aber ich finde es auch nicht richtig, wie hier freigiebigere Reisende für ihr für die Veröffentlichung vorgesehenes Bild ihrer Entenschnute ausgenommen werden wie eine Weihnachtsente. Mit was uns alles gedroht wurde, Polizei, wir machen das Geschäft kaputt, der Hamster zu Hause bekommt nun nichts mehr zu essen, am Ende haben sie aufgegeben und wir durften komischerweise passieren. Als wir dann aber nicht mehr wollten, war die Beleidigung um so größer. Einen faden Geschmack hat das Ganze im Mund hinterlassen, der aber glücklicherweise nach und nach von den weiteren Eindrücken der alten in Stein gehauenen Monumente weich gespült wurde. 


Nach dem Besuch zweier Kreuzfahrerburgen müssen wir uns für die bisherigen Strapazen entschädigen und waschen diese im hoch konzentrierten Salzwasser des Toten Meeres weg, um uns dann frisch erholt und entspannt in das Getümmel von Amman zu stürzen. Was ein liebenswertes Chaos. Vor jedem Laden steht endlos viel Kram auf dem Gehweg, Menschen wühlen in den Bergen von Klamotten, nehmen im vorbeigehen immer mal eine Probe der bereitliegenden Nüsse, Früchte oder Gewürze. Dazwischen quetschen sich unmengen Menschen durch, die gerade keinen Hunger auf die Auslage haben, sondern ein anderes Ziel verfolgen. Ein bisschen fühlt sich das ganze an, als wenn man sich mit seinem Schwimmreifen in einen Lazyriver stürzt und dann treiben lässt. Auf jeden Fall sehr spannend die Eindrücke auf sich wirken zu lassen. 


Weiter geht es mit dem Taxi zur King Hussein Bridge. Für den bevorstehenden Grenzgang nach Israel haben wir die schlimmsten Storys gehört und gelesen. Abgesehen davon, dass wir aufgrund der schieren Menge an abzufertigender Absichtsgenossen manchmal etwas warten mussten, war das deutlich angenehmer als erwartet und etwa 4 Stunden nach Aufbruch in Amman stehen wir in Jerusalem. Was ein beeindruckender und geschichtsträchtiger Ort. Uns allen ist geläufig wie die Anhänger verschiedener Erklärungsversuche, damals noch nicht wissenschaftlich ergründeter Phänomene, um diesen Ort wetteifern. Überall laufen Menschen mit ihren Kippas umher, kleiden sich mit Frack und Melone oder hüllen sich in weite Gewänder. Ihnen allen liegt dieser Ort am Herzen. Ihn zu teilen, wie es gerade wirkt, ist mir deutlich lieber als darum zu streiten und ihn dem anderen vorzuenthalten. Das scheint nicht immer so zu sein. Die vielen Gepäckkontrollen, Scanner und schwer Bewaffneten zeugen von anderen Verhältnissen. Was all die Scanner bringen sollen, wenn alle, die eine Uniform tragen, ihre schwersten Schusswaffen mitführen dürfen ist kaum ergründlich. Vor allem die großen Gruppen von Soldaten auf Sightseeingtour wirken etwas befremdlich mit ihren Gewehren. Allein vor der Klagemauer waren locker 100 davon versammelt. Dennoch, es ist schon ein prägendes Bild, wie Gläubige die Jahrtausende alte Tempelmauer betrauern und mit kleinen Zetteln die Fugen zwischen den Steinen füllen, während darüber der Felsendom mit seiner opulenten goldenen Kuppel thront. Wenige Schritte weiter folgen gläubige Christen den letzten Lebens-Etappen ihres Idols in die Grabeskirche. Alle Stätten werden gleichermaßen von unzähligen Besuchern überlaufen. Trotz des Treibens beeindruckt mich das Gesehene sehr, vor allem auch, wenn man sich vorstellt wie lang, im Verhältnis zu einem einzelnen Menschenleben, all diese Orte schon bestehen und die ihnen nachgesagten Ereignisse zurückliegen. 


Eine kleine Zugabe führt uns noch nach Jericho, an die Ufer des See Genezareth, zu alten Bauten in Akko und zu den an die Gärten in Versailles erinnernden treppenartig angelegten Bepflanzungen in Haifa, um dann einen Gang zurück zu schalten in Tel Aviv. Wasser hat auf mich immer eine besondere Anziehungskraft. Besonders im Winter, wenn es dann auch noch angenehm warm in unmittelbarer Nähe zum Gewässer ist. Die Stadt ist sehr besuchenswert. Leckeres Essen, tolles Wetter, bunte Märkte, bis zum Bersten gefüllte Bars, was will man mehr?! Wir sind super zufrieden, hatten eine tolle Zeit und haben durch das Auffüllen allerlei Wissenslücken eine Reihe Erkenntnisse gewonnen, wie wir es uns auch zu Beginn unseres Ausflugs versprochen haben. Drehe ich die so gülden glänzende Münze in meiner Hand um die eigene Achse, stelle ich jedoch auch fest, dass auf der Rückseite ein dezent anderes Bild geprägt ist und sich vielleicht auch etwas Patina gebildet hat. Mal abgesehen von Jerusalem und Tel Aviv ist es schon erstaunlich, wie viel Müll überall in der Landschaft liegt. Überall stehen Müllcontainer, aber dennoch ist alles voll mit Unrat. Wie lange das noch gut gehen soll, ist eine der zentralen Fragen in meinem Kopf. Dass die Bekämpfung von Klimawandel wichtig ist, steht außer Frage, aber wenn wir nicht langsam etwas gegen den Müll tun, vergiften wir noch große Teile der Menschheit bevor sie in den emporsteigenden Wassermassen ertrinken. Dass CO2 Einsparung kritisch zu verhandeln ist vor dem Argument, dass derartige Maßnahmen Wachstum bremsen können, ist für mich in Ansätzen sogar nachvollziehbar, wenn es auch hier sicher Graustufen zwischen schwarz und weiß gibt. Warum Müllentsorgung jedoch ein Problem sein soll, wenn sogar die entsprechende Infrastruktur vorhanden ist, will in mein Verständnis keinen Einzug halten. Warum hier nicht dringend erforderliche Maßnahmen potenziert werden bitte ich die Vorturner der Nationen mal zu erläutern. Fairerweise muss ich aber auch gestehen, dass ich mir diese Frage auch oft in heimischen Gefilden auf dem Weg zu meiner täglichen Wirkungsstätte stelle, wenn ich dort all morgendlich den Unrat sehe, den die Meute am Vortag hinterlassen hat. Wer hier sachdienliche Hinweise hat, mag sie mir gern nach unserer Rückkehr zurufen. Bis bald und allen Lesern schon einmal einen guten Start in 2022+1. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Wolf (Sonntag, 25 Juni 2023 11:08)

    Hallo Ihr Weltenbummler, ich bin umzugsbedingt erst jetzt dazu gekommen, die Berichte Malediven und Nah-Ost zu lesen. Bei Deiner Art zu schreiben wird die eigene Phantasie mobilisiert und man ist sofort mittendrin im Geschehen. Einen lieben Gruß jetzt aus Wedel an der Elbe.